Elisabeth Warzinek: «Sterben, ein mystischer Moment»

Es war ihre Arbeit auf der Intensivstation, die Elisabeth Warzinek fast täglich mit der Endlichkeit des Lebens konfrontierte. «Die Schicksalsschläge betroffener Familien ‹wegzustecken›, ist mir nicht immer leichtgefallen.»

Elisabeth Warzinek: «Sterben, ein mystischer Moment»

18. Juli 2020 0
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Es war ihre Arbeit auf der Intensivstation, die Elisabeth Warzinek fast täglich mit der Endlichkeit des Lebens konfrontierte. «Die Schicksalsschläge betroffener Familien ‹wegzustecken›, ist mir nicht immer leichtgefallen. Obwohl erst 24 Jahre alt, durfte ich erfahren, wie wichtig es ist, den Angehörigen in schwerer Zeit Stütze zu sein. Ich begleitete sie, sprach mit ihnen, hörte zu. Ich war einfach da. Schenkte Nähe, hielt Hände, zeigte Empathie.»

Später, in der Spitexarbeit, habe sie gespürt und erlebt, wie wichtig das Hospiz-Engagement für schwer kranke Mitmenschen ist. «Wir sind eine wichtige Ergänzung zur Arbeit der Pflegefachpersonen. Unsere Begleitenden bringen Zeit mit. Sie können zuhören, können nahe sein, müssen nicht unter Zeitdruck arbeiten. Da rattert keine Uhr und zählt die Minuten, die dann dem Patienten, der Patientin verrechnet werden müssen.»

Elisabeth Warzinek war neun Jahre alt, als ihr Bruder bei einem Verkehrsunfall sehr schwer verletzt wurde. «Wir hofften und bangten vor allem in der ersten Nacht und den folgenden fünf Wochen, während er im Koma lag. Er überlebte, blieb aber schwer behindert.» Drei Wochen später starb die Grossmutter im Spital. Sie war 87 Jahre alt.

Der Unfall des Bruders habe sie zum Glauben gebracht, sagt Elisabeth Warzinek. «Das einzige, was wir als Geschwister nach dieser Horror-Nachricht machen konnten, war beten. Die Eltern eilten ins Spital, und wir fünf Kinder blieben mit einer Tante im Haus zurück. Wir legten uns zusammen ins grosse Ehebett und beteten, Michael solle überleben. Das gab uns Zuversicht und Halt in dieser langen Nacht und den bangen Wochen.»

Die Beziehung zur Grossmutter sei eher distanziert gewesen, erzählt Elisabeth Warzinek. «Sie war sogar sehr kühl, vergleiche ich sie mit meiner Beziehung zu unseren Enkeln. Deshalb hat mich ihr Tod nicht so sehr erschüttert.» Mit Jahrgang 1888 gehörte die alte Dame einer Generation an, die ihre Eltern noch siezen mussten. Der Anblick der aufgebahrten Grossmutter habe sie in keiner Weise schockiert oder erschreckt, sagt Elisabeth Warzinek. «Sie sah so friedlich aus, und das war für mich wohl sehr tröstlich damals.»

Jeden Tag dankbar geniessen

So erlebte die Präsidentin der Hospzigruppe Sarganserland die Endlichkeit des Lebens sehr früh. «Ich lernte dadurch, jeden Tag zu geniessen und bin dankbar für die Gesundheit.» Für sie sei es selbstverständlich, im Leben, vor allem in der eigenen Familie, zusammen zu stehen, sich gegenseitig zu stützen, Schicksale gemeinsam zu tragen. Freud und Leid miteinander zu teilen und sich an Kleinigkeiten zu freuen.

Elisabeth Warzinek lebt seit 16 Jahren in Mels. Ihr Mann, Dr. med. Thomas Warzinek, führt in Sargans eine urologische Arztpraxis und politisiert seit 2012 für die CVP im Kantonsrat. Das Paar ist seit 31 Jahren verheiratet und Eltern von vier erwachsenen Kindern. «Die meiste Zeit war ich berufstätig. Seit 16 Jahren assistiere ich meinem Mann bei Operationen, bin Sprechstundenassistenz und für die Buchhaltung der Praxis zuständig.» Sie lacht. Sagt: «Salopp ausgedrückt bin ich der Notnagel für alle Fälle.»

Kein Notnagel ist Elisabeth Warzinek für die Hospizgruppe Sarganserland. Als umsichtige Präsidentin versieht Elisabeth Warzinek die unterschiedlichsten Aufgaben. «Primär gilt es die Gesamtübersicht zu bewahren. Ich möchte den Verein strategisch weiterentwickeln. Will die Sorgen und Anliegen aller ernst nehmen. Etwa die Ideen und Freuden der Begleitenden, der Einsatzleiterinnen, der Mitarbeitenden im Trauertreff. Die Präsidentin muss Stellung beziehen, Entscheide treffen, Öffentlichkeitsarbeit leisten. Sie plant Sitzungen und nimmt teil, wenn andere Gruppierung tagen. Sie baut Netzwerke auf und erweitert die bestehenden Verbindungen. Zudem gilt es, bei Bedarf Vorstandsmitglieder und Begleitpersonen zu rekrutieren sowie Projekte zu leiten.

Sterben, ein mystischer Moment

Wie so viele unserer aktiven Mitglieder begegnete Elisabeth Warzinek am Bett eines Menschen dann und wann dem Tod. Was macht das mit einem? «Den Moment des Abschiedsnehmens, des Zurückziehens aus dieser endlichen Welt empfand ich schon immer als etwas sehr Mystisches empfunden», sagt sie. «Die Wege sind dabei so unterschiedlich, das bewegt mich jedes Mal von Neuem. Es sind individuelle Wege, um aus dieser Welt zu scheiden. Kann jemand friedlich gehen, mit einem Lächeln auf den Lippen, erfüllt mich das mit grosser Dankbarkeit.»

Wer gehen will, muss loslassen können. Und wer jemandem beisteht in seiner letzten Lebensphase, muss ebenfalls loslassen können. «Ich denke, ich kann loslassen. Etwa, wenn ich eine entsprechende Diagnose erhalten würde. Wenn ich also nicht mehr lange zu leben hätte, dann würde ich loslassen können. Ich hatte ein erfülltes, glückliches und bereicherndes Leben. Klar fände ich es schade, keine weiteren Enkelkinder aufwachsen zu sehen. Oder den Werdegang meiner Kinder nicht weiter mitzuerleben. Andererseits konnte ich unsere Kinder bisher auf ihrem Weg begleiten, und sie entwickelten sich zu Persönlichkeiten. Sie sind reif für diese Welt; reif, ihren eigenen Lebensweg zu gehen. Ich will sie loslassen. Mit dem grossen Wunsch, sie mögen, ebenso wie ich, einen glücklichen Lebensweg beschreiten. Dazu gehören die Hochs und Tiefs, wie ich sie ebenfalls erlebte. Sind wir ehrlich, ohne diese Ausschläge wäre das Leben ja langweilig.»

Friedfertiges Weiterleben im lichterfüllten Paradies

Wer glaubt, loslassen zu können, muss sich nicht fürchten vor dem Tod. Das geht Elisabeth Warzinek so. «Ich habe keine Angst. Ich vertraue darauf, im Jenseits meine bereits verstorbenen Familienangehörigen und Freunde wieder zu sehen. Ich glaube an ein Paradies nach dem Tod, lichterfüllt und friedfertig.»

Schwieriger die Frage nach dem Wiederkommen. Das kann Elisabeth Warzinek nicht mit ja oder nein beantworten. «Manchmal denke ich ja, denn Leben und Sterben, Geburt und Tod liegen in einer Familie oft so nah beieinander. Das zeigt uns, das Leben auf dieser Welt geht auch nach dem traurigen Verlust einer geliebten Person weiter. Und, wer weiss, vielleicht erkennt man in diesem neuen Leben einen kleinen Teil der verstorbenen Person wieder.»

Letzte Frage: Was machts mit dir, liebe Elisabeth, wenn ich dir sagen könnte, du schläfst heute Nacht still und friedlich ein, für immer?

Elisabeth Warzinek: Das Schönste was passieren kann, wäre das. Ohne Schmerzen, ohne Furcht, ohne etwas zu spüren. Einfach hinübergleiten. Wünscht sich diesen Tod nicht jeder? Ich hätte allerdings Sorge um meinen Mann und meine jüngste Tochter. Sie müssten sehr hilflos und aufgewühlt zurückbleiben. Ihr Alltag würde total auf den Kopf gestellt. Die drei anderen Kinder stehen schon sehr selbstständig in der Welt. Überhaupt, für die Familie wäre es schlimm, da keine Zeit zum Abschiednehmen bleibt.» (MS, 30. Juni 2020)


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