Agnes Schumacher: «Niemand soll alleine sterben müssen»

Was wäre die Hospizgruppe ohne Agnes Schumacher, 73? Wir wissen es nicht. Agnes Schumacher gilt als Pionierin der Freiwilligenarbeit im Rahmen palliativer Betreuung von Schwerkranken, Sterbenden.

Agnes Schumacher: «Niemand soll alleine sterben müssen»

16. September 2020 0
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Was wäre die Hospizgruppe ohne Agnes Schumacher? Wir wissen es nicht. Die 74-jährige Agnes Schumacher gilt als Pionierin der Freiwilligenarbeit im Rahmen palliativer Betreuung von Schwerkranken, Sterbenden. 1998 baute sie im Auftrag der Gemeinde Wangs-Vilters, aufgrund des erstellten Altersleitbildes eine Hospizgruppe auf. Diese sollte in der Gemeinde eine psychosoziale Sterbebegleitung auf freiwilliger Basis garantieren. Sie sollte ergänzend zur Gemeindekrankenpflege wirken, in enger Zusammenarbeit und Absprache mit der Spitex. Die Begleitenden sollten Zeit und Zuwendung schenken.

Genau das wollte Agnes. Sie rief eine Begleitgruppe für Schwerkranke, Sterbende und Trauernde ins Leben. Aktive Vereinsmitglieder fand sie bei den Teilnehmenden des Caritas-Kurses «Nahe sein in schwerer Zeit.» «In der Anfangsphase waren wir 15 Begleitende in unseren beiden Gemeinden. Wir machten viel in Eigenregie, organisierten Einsätze und boten regelmässige Weiterbildungen an. Allmählich übernahm die Gemeinde unsere Spesen.

In anderen Gemeinden war das Bedürfnis nach Begleitungen ebenso vorhanden. In Mels, Flums, Walenstadt sowie in Sargans entstanden einzelne Hospizgruppen, später auch in Bad Ragaz und dem Taminatal, und bald darauf begann eine Art Frauensolidarität zu spielen. Agnes Schumacher traf sich mit Bea Grünenfelder, Nicole Lymann und Helen Hidber. «2011 gründeten wir den Verein Hospizgruppe Sarganserland, deren Präsidium Helen Hidber übernahm. Das Teamwork in der Region klappte gut, eingespielt aus der Zeit von Familien- und Krankenpflegeverein. Jetzt war die Spitex mit im Boot sowie das Spital. Bald meldeten sich Alters- und Pflegheime, baten um Begleitungen. Die Hospizgruppe wuchs. Mittlerweile sind es gegen 80 aktive Mitglieder, davon über 50 Begleitende.

Im «Schlössli» Psychiatrie-Fachfrau gelernt

Agnes Schumacher ist im Sarganserland verwurzelt. Aufgewachsen ist die Bauerstocher mit drei Geschwistern. Die ausgebildete Büro-Fachfrau arbeitete im Eisenbergwerk Gonzen und entschied sich, kaum 20 Jahre alt, Psychiatriefachfrau zu lernen. „Die Ausbildung im Schlössli in Oetwil am See war anspruchsvoll, interessant und lehrreich. Nie beschlich mich das Gefühl, ich hätte das nicht tun sollen. Noch heute treffe ich mich regelmässig mit Ehemaligen.» Nach Ausbildung und Pflichtjahr übernahm Agnes Schumacher «die schwierige Kundschaft in der Sozialpsychiatrie in Oerlikon», wie sie sagt.

Dann zog es sie zurück in die Heimat, wo sie ihren Johann kennengelernt hatte. 1971 heirateten die beiden. Eine schwierige Zeit. Dreieinhalb Wochen vor der Hochzeit ertrank Agnes’ Vater im Chapfensee. Mit 25 gebar sie das erste von vier Kindern. Innerhalb von sechs Jahren kamen noch drei dazu. Die Aufgaben waren klar verteilt. Agnes Schumacher: «Johann hatte die Schreinerei, ich die Familie und das Büro. Politisch engagierte ich mich nicht, ich hatte lieber mit Menschen zu tun.» Sagt sie und lacht.

Agnes Schumacher übernahm 1989 das Präsidium der Familienhilfe Sarganserland, und sie hatte damals ca. 20 Frauen in Voll- und Teilzeit unter sich. Die Familienhilfe hatte die Aufgabe Familien in schwierigen Situationen bei Krankheit, Unfall oder nach Geburten die Mütter im Haushalt zu entlasten. (Mehr über das grosse Engagement für die Menschen im Tal lesen Sie in der Laudation an Agnes anlässlich der Verleihungdes Anerkennungspreises der Talgemeinschaft TSW vom 11. Mai 2019)

Von der Wanderung kehrt Johann nicht zurück

Die langjährige Arbeit für Menschen, das grosse Engagement in der Betreuung und Begleitung Schwerkranker und Sterbender prägt einen. Macht auf eine Art stark. Und stark musste Agnes Schumacher im Frühling letzten Jahres sein.

Ihr Johann, mit dem sie vier Kinder grossgezogen hatte und 48 Jahre verheiratet war, starb in der Karwoche am Mittwoch, 17. April 2019. Auf einer seiner geliebten Wanderungen trat er unerwartet den letzten Weg an. In der Todesanzeige stand:

Auferstehung ist unser Glaube,

Wiedersehen unsere Hoffnung

Gedenken unsere Liebe.

 

Agnes schildert mir, wie sie diesen Tag erlebte. «Ich war in Mels an einer Beerdigung von Jemandem, den wir begleiteten. Mein Handy hatte ich ausgeschaltet.» So suchte Tochter Runa ihre Mutter, sagte ihr, sie müsse sofort kommen. Johann sei gestorben.

«Ich erlebte die kommenden Stunden wie in einer Art Albtraum», sagt Agnes Schumacher. «Als Johann aufbrach am Morgen, war er so zwäg, hatte keine Probleme.» Kurt, sein Wanderkamerad erzählte der geschockten Familie, was in Felsberg passiert war. Johann habe bei einem Brunnen trinken wollen. Vorher sei er niedergekniet, hätte seine Brille im Rucksack versorgt, dann sei er zur Seite gekippt und gestorben. Die Reanimation half nichts mehr.

Abschied in der Karwoche

«So wurde diese Stelle beim Brunnen zu meinem Kraftort. Ich spüre das immer wieder, wenn wir den Ort besuchen, wo Johann seinen Karfreitag erlebt hat.» Über Ostern konnten ich, meine Familie, seine Freunde und Kollegen dann Abschied nehmen in der Aufbahrungshalle. «Es war eine wichtige Zeit für uns alle. Der Tag der Beerdigung wird uns und allen Beteiligten eine bleibende Erinnerung hinterlassen, denn eine so grosse Anteilnahme – die Kraft, Trost und Zuversicht ausstrahlte – durften wir erleben. Dafür sind wir sehr dankbar.»

Agnes Schumacher sagt: «Die Hospizarbeit konfrontierte mich mit vielen Problemen. Ich brauchte nie eine Supervision. Mit Johann konnte ich alles besprechen. Wir redeten über unsere Wünsche und unsere Vorstellungen wie wir es einmal haben möchten.»

Wer sich in der Hospizgruppe engagiert, weiss, das Leben ist endlich. Agnes Schumacher hat es vielfach erfahren und ist dabei, damit fertig zu werden. «Es hilft nichts, sich abzukapseln, sich einzulochen und das Haus nicht mehr zu verlassen.»

«Ich glaube an ein Weiterleben nach dem Tod»

Vor dem Sterben, habe sie keine Angst. «Ich rede oft mit Johann, sage ihm, ich komme dann auch, habe aber noch keine Zeit.» Sie schaut mich an, sagt, sie hoffe und wünsche sich, auf ähnliche Art und Weise gehen zu können. «Ich bete täglich um eine gute Sterbestunde.»

Agnes Schumacher glaubt an ein Weiterleben nach dem Tod, «Sonst wäre vorher Vieles sinnlos.» Und dann zitiert sie die Bibel, als Jesus vor seiner Himmelfahrt sagte: «Ich gehe jetzt zum Vater und bereite euch eine Wohnung und hole euch zu mir, damit auch ihr dort seid, wo ich bin.»

Ein tröstliches Schlusswort. Agnes Schumacher lächelt. «Mein Ziel war immer: Niemand soll alleine sterben müssen, ausser er will es.» Mit ihrem Engagement hat sie genau das bewirkt. «Danke Agnes. Bhüet di.» (MS, 15. August 2020)


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