Brigitta Niedrist: «Begleitungen sind eine Art Liebesdienst»

Zuhören ist eine ihrer Stärken. «Ich habe das 30 Jahre lang gemacht an der Theke unserer Metzgerei in Wangs.»

Brigitta Niedrist: «Begleitungen sind eine Art Liebesdienst»

2. Oktober 2020 0
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Zuhören ist eine ihrer Stärken. «Ich habe das 30 Jahre lang gemacht hinter der Theke unserer Metzgerei in Wangs», sagt Brigitta Niedrist. Viele Menschen hätten ihr Fröhliches, Trauriges und Verblüffendes erzählt. Gar manches Leid hätte sie mit ihnen geteilt, die eine oder andere Sorge hätten sie bei ihr abgeladen. Oft sei es in den kurzen Gesprächen um Leben und Sterben gegangen.

«Dieses Thema, ist bei mir gut aufgehoben», sagt sie. «Eine erste Begegnung mit dem Tod erlebte ich als Vier-, Fünfjährige. Anfangs sechziger Jahre starb Tante Berta bei der Geburt ihres achten Kindes. Ich sehe immer noch das Bild vor Augen, wie sie aufgebahrt lag im Sarg. Der tote Säugling war zu ihren Füssen gebettet.»

Als Brigitta sieben, acht Jahre alt war, starb der Nachbar. Er sei zu Hause aufgebahrt gewesen. Die Bauersleute hätten während der Heusaison keine Zeit gehabt für die Trauergäste. So führte das Nachbarsmeitli die Trauernden ins Stübli zum Verstorbenen: «Das Aufbahren zu Hause war zu jener Zeit ganz normal, ich hatte auch keine Angst.»

Brigitta Niedrist, aufgewachsen in Mels, zügelte einst der Liebe wegen ins Nachbardorf nach Vilters-Wangs. Sie ist mit Erwin verheiratet, beide zogen sie einen Sohn und eine Tochter gross. Dazugekommen sind mittlerweile sechs Grosskinder. «Alle wohnen sie in Vilters und Wangs. Sie spielen eine wichtige Rolle in meinem Leben.»

Eine Rolle spielte ebenso der Beruf. Eigentlich wollte Brigitta Niedrist einen Pflegeberuf lernen. Mutter habe anders entschieden und ihr eine Stelle im Büro besorgt. Schlimm sei es nicht gewesen. Brigitta Niedrist lacht. «Ich hatte ein Sozialjahr bei den Ingenbohl-Schwestern hinter mir, das war kein Zuckerschleck.»

Zur Pflege kam sie trotzdem – Jahre später. «Nachdem wir 2008 die Metzgerei aufgegeben hatten, meldete ich mich auf ein Stelleninserat beim Kantonsspital in Chur und begann kurze Zeit später auf der Nachtwache. Das war eine eindrückliche Zeit. Gestorben wird oft, wenns dunkel und still ist, wenn die Welt ruht.»

Bereits zehn Jahre vorher machte sie eine Kursausschreibung neugierig. Vilters-Wangs hatte 1998 seine Gemeindeordnung geändert. Das Altersleitbild neu aufgestellt. Sterbebegleitungen wurden ein Thema. Als Hospiz-Pionierin Agnes Schuhmacher eine Weiterbildung ausschrieb, ging sie hin. Spannend sei der Austausch in der Gruppe gewesen. «Wir trafen uns regelmässig, besprachen Probleme, redeten über die erlebten Abschiede.»

«Wildfremde erzählte mir ihre Lebensgeschichte»
Es sind Gespräche mit Menschen, die Brigitta Niedrist wichtig sind. «Manchmal kommts mir vor, als würde ich Menschen anziehen, die reden wollen», sagt sie. «Einmal, im Zug nach Einsiedeln, erzählte mir eine Frau von ihren Sorgen. Die Wildfremde schilderte mir ihre Lebensgeschichte. Und wenn Leute wissen wollen, wie ich das verarbeiten würde, sage ich meist: Ich kann das, weil es ein gegenseitiges Geben und Nehmen ist. Weil ich Menschen liebe.»

Sie kanns ebenso mit den Verstorbenen. Vater habe jeweils gesagt, wenn ein Kind geboren werde in der Familie, müsse jemand von uns gehen, sterben. Wir denken beide über die Worte nach. So abwegig finde ich den Gedanken nicht. Meine Lieblings-Grossmutter starb einige Monate nach dem meine Zwillinge zur Welt gekommen waren.

Auf die Frage, warum sich Brigitta Niedrist in der Hospizgruppe als Co-Gruppenleiterin für das Obere Sarganserland engagiere und Begleitungen mache, sagt die 65-Jährige: «Es bringt mir viel. Eine Begleitung am Bett einer Schwerkranken, eines Sterbenden ist ein letzter Liebesdienst, den ich jemandem machen kann. Nicht nur den Sterbenden, ebenso den Angehörigen. Dabei entstehen oft schöne Begegnungen. Gerne erinnere ich mich an die Zeit, wo ich meinen Vater begleiten konnte. Er hat mich auf meinem Lebensweg begleitet, und ich durfte dies tun, als es seinen letzten Weg antrat.»

Wer sich in der Hospizgruppe engagiert, weiss: das Leben ist endlich. Was bedeutet das für Brigitta Niedrists Leben? Sie denkt nach. «Mir ist immer wichtig, dass ich mich bewusst von jemandem verabschiede. Es könnte ja der letzte Abschied sein. Mein Vater sagte bei jeweils: ‹Ciao, bhüet di Gott›. Das hat sich tief in mich eingeprägt.»

«Manchmal muss ich ebenso weinen»
Du sassest schon am Bett, betreutest Menschen, die in deiner Anwesenheit gestorben sind? Was machte das mit dir?
Brigitta Niedrist: «Wie gesagt, es erfüllt mich, und ich spüre viel Dankbarkeit. Mich dünkt, die Angehörigen haben uns genau so nötig. Die einen brauchen Trost, andere eine Umarmung. Manchmal wirke ich im Hintergrund, zeige mein Mitgefühl. Es kann vorkommen, dass ich ebenso einige Tränen vergiesse.»

Gerne erinnere sie sich an Sr. Madleine Bütler. Die Ilanzer Klosterfrau baute in Salzburg das Hospiz-Haus auf.« Sie konnte uns auf eine wunderbare Art die Begegnung mit Trauernden vermitteln», sagt Brigitta Niedrist.

Vor dem Sterben hat sie keine Angst. «Wir müssen uns ja nicht vor Schmerzen fürchten. Ich wünsche mir einen würdigen Tod. Die Palliativbetreuung ist eine wunderbare Einrichtung. Dazu eignet sich natürlich ebenfalls unsere Hospiz-Wohnung, wenn es zu Hause nicht mehr möglich ist. Ich empfinde sie wie eine Kraft-Oase.»

Ob es danach ein Weiterleben gäbe, wisse sie nicht. Und an ein Wiederkommen nach dem Tod glaube sie ebenso wenig. «Ich denke, es kommt jemand anders an meiner Stelle auf diese Welt.»

Ich frage zum Schluss: «Was machts mit dir, wenn ich sagen könnte, du schläfst heute Nacht still und friedlich ein. Für immer.» Brigitte Niedrist. Sagt: «Für die Angehörigen wäre es schlimm. Und für mich wärs entschieden zu früh.» (MS, 4. August 2020)


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