Angela Weber: «Der Corona-Tod macht Angst»

«Ich habe heute noch ab und zu Mühe, das alles einzuordnen. Covid-19 und seine Folgen machten mich unendlich traurig.

Angela Weber: «Der Corona-Tod macht Angst»

21. Mai 2021 0
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Angela Weber ist neu Beirätin in der Hospizgruppe und Mitglied im Forum Palliative Care Sarganserland. Sie arbeitet als Pflegedienstleiterin im Pflegezentrum Sarganserland PZSL, Mels, wo die 44-Jährige die Pandemie hautnah miterlebte. Sie hatte Ängste, litt an der Machtlosigkeit und musste funktionieren, motivieren und organisieren.

«Ich habe heute noch ab und zu Mühe, das alles einzuordnen. Covid-19 und seine Folgen machten mich unendlich traurig. Traurig für unsere Bewohner und Bewohnerinnen, für die Angehörigen und für die Pflegepersonen.»

Wir mussten funktionieren – und das haben wir.

Mich abzugrenzen in dieser Covidzeit entpuppte sich als äusserst anspruchsvoll. Es galt die Personalausfälle zu koordinieren, die Fragen von Angehörigen zu beantworten sowie die Mitarbeiter, Mitarbeiterinnen zu beruhigen oder ein offenes Ohr haben.

Was mich unendlich mit Stolz erfüllt, war die Zusammenarbeit mit meinen Leuten; dieses Engagement von allen zu sehen, war richtig schön. Die Pandemie schweisste uns zusammen, und wir erlebten schöne Momente. Trotzdem: Angst und Machtlosigkeit waren in dieser Situation sehr prägend, sowohl beim Team wie auch bei mir.

Angela Weber wohnt mit ihrem Mann und ihren vier Buben in Tscherlach. Bei den Webers arbeitet Angela Vollzeit, und ihr Mann Dominique engagiert sich als Hausmann und arbeitet Teilzeit. Kein Wunder hatte Angela Weber Angst, das Virus nach Hause zu bringen, die Familie anzustecken. «Aus diesem Grund habe ich meinen Vater über sieben Monate nicht gesehen», sagt sie. «Jedes Mal, wenn wir einen neuen Anlauf starteten, war entweder im Pflegezentrum ein Ausbruch oder im Umfeld eine Covid-Situation.»

Die psychische Belastung war sehr hoch.

«Du musst dir mal vorstellen, da sind deine Liebsten krank, und du darfst sie nicht besuchen. Allein das mit mir vereinbaren zu können, brachte mich oft an Grenzen. Aber ich war bemüht, die Umstände zu lindern, wo immer es in meiner Macht lag. Ich machte oft, was mir das Herz sagte. Dabei galt es eine Balance zu finden zwischen den Verordnungen und Empfehlungen des BAG und gelebter Menschlichkeit. Ein schwieriger Spagat zwischen Dürfen und Wollen. Unser grosser Einsatz lohnte sich: Wir erhielten sehr viele liebevolle Rückmeldungen von Angehörigen.

Wenn ich nach solch aufopfernden Tagen nach Hause kam, erschöpft von vielen Stunden Arbeit, vergoss ich schon ab und zu eine Träne.

Wechselbad der Gefühle

Was mich tief beeindruckt, ist die Solidarität bei der Arbeit oder privat. Sei es von Angehörigen, Mitarbeiterinnen, Berufskolleginnen, -kollegen oder Freundinnen, Freunden. Zugleich niederschmetternd erlebte ich die zum Teil geäusserten Sachverhalte zur Situation von Corona. Aussprüche wie, «das ist nur eine Grippe» oder «wir halten uns nicht an die Regeln» haben mich zu dieser Zeit tief getroffen. In solchen Momenten hätte ich mir gewünscht, die Verniedlicher, Verniedlicherinnen hätten einmal zwei Tage bei uns verbracht. Hätten mitgearbeitet, hätten mitgelitten. Etwa an dem Tag, als bei uns drei Leute gestorben sind.

Palliative Care – ein wichtiges Anliegen

Seit Angela Weber in der Pflege arbeitet, ist Palliative Care ein Thema, das sie interessiert und begleitet.

«Bei Palliative Care geht es mir um Individualität, Autonomie, Würde und Wohlbefinden im Sterbeprozess. Es gilt, belastende Symptome zu erfassen und zu lindern. Es geht dabei um eine bestmögliche Lebensqualität, die wir bis zuletzt fördern und erhalten wollen. Zudem unterstützen wir die Angehörigen aktiv in der Begleitung des Abschieds.

So möchte ich das ebenfalls erleben können. Ich weiss, wie herausfordernd eine chronische Krankheit für die Betroffenen und ihre Angehörigen sein kann. Ich weiss, wie es ist, wenn man eine niederschmetternde Diagnose bekommt und es einem den Boden unter den Füssen wegzieht.

Mit der heutigen Medizin und Pflege gibt es so viele Möglichkeiten, eine gute Palliative Care zu gewähren. Das heisst: Wir sorgen für eine bestmögliche Qualität in der letzten Lebensphase.

Ich finde die interdisziplinäre Arbeit und das Netzwerk rund um Palliative Care im Sarganserland sehr bereichernd. Deshalb engagiere ich mich im Palliativ-Forum. Gemeinsam können wir die bestmögliche Palliative Care bieten und können die Menschen würdevoll begleiten und betreuen.

Angela Webers Mama starb mit 53 Jahren

Leben und Sterben erlebt Angela nicht nur bei der Arbeit. «Oh ja», sagt sie, «meinen wichtigsten Herzensmenschen musste ich vor 14 Jahren gehen lassen. Meine Mutter. Es war einen Monat vor meinem 30. Geburtstag. Mama erhielt die Diagnose Brustkrebs. Sie war erst 46 Jahre alt. Sieben Jahre später starb sie. Ihre Mutter, ihre Schwester sowie ihr Mann, sprich mein Vater, wir haben sie begleitet, betreut, gepflegt und unterstützt bis zu ihrem Tode. Es war für uns alle eine schwere Zeit. Aber heute, im Nachhinein gesehen, erlebten wir unheimlich viele schöne gemeinsame Momente. Ich bewundere die Stärke meiner Mutter.

Etwa 14 Tage vor ihrem Tod habe ich allen Mut zusammengenommen, bin zu ihr ins Spital gefahren und habe mit ihr das Gespräch gesucht zum Thema: Beerdigung. Ihre Antwort war: «Angi, ich möchte nicht sterben.» Darauf sagte ich: «Das ist ebenfalls das Letzte, was ich möchte.» Dann sagte sie: «Angi, meine Beerdigung möchte ich folgendermassen gestalten … », und dann erzählte sie es mir Schritt für Schritt. Ich war sprachlos. Wir umarmten uns und sprachen über andere Themen.

Grossvater verstarb an gebrochenem Herzen

Viele Momente, die ich in der Betreuung meiner Mutter erlebt habe, helfen mir heute, vielerlei Situationen zu verstehen. Ich traue mich, unausgesprochene Themen anzusprechen.

Wir pflegten meine Mutter zwölf Tage lang rund um die Uhr, dann ist sie im Beisein aller eingeschlafen. Nur 13 Tage darauf verstarb mein Grossvater, der Vater meiner Mutter. Dass seine Tochter vor ihm sterben musste, hat dem 80-Jährigen wortwörtlich das Herz gebrochen. Er wurde von mir und meiner Familie ebenfalls zu Hause betreut.

Klar, das Leben ist endlich

Ich war selber bereits in einer schwierigen gesundheitlichen Lebenssituation, und ich kenne Betroffene mit chronischen Krankheiten in meinem Umfeld. Ja, mir ist klar – es ist endlich, das Leben. Wenn man sich mit dieser Endlichkeit auseinandersetzt, wirds kompliziert.

Ich finde, wir können nur dankbar sein, dass wir gesund sind. Meine Grossmutter sagte immer: «Geh nie im Streit auseinander, du weisst nicht, was passiert an dem Tag».

Wohin unsere letzte Reise geht, weiss Angela Weber nicht. «Ich wünsche mir, dass ich meine Lieben wiedersehe.»

Angela Weber, danke fürs Gespräch. (Angela Weber arbeitete bis Ende Januar 2022 im PZSL.)

(MS, 17. Mai 2021)

 

 

 

 

 

 


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