«Das Leben bringt das Risiko mit, zu sterben»

Das Sterben gehört zum Leben. Das weiss Vreni Britt, 57, seit früher Kindheit.

«Das Leben bringt das Risiko mit, zu sterben»

14. Januar 2022 0
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Vreni Britt, Geschäftsführerin der Spitex-Sarganserland und Beirätin der Hospizgruppe. (Foto: Martin Schuppli)

Das Sterben gehört zum Leben. Das weiss Vreni Britt, 57, seit früher Kindheit. «Ich war sechs Jahre alt als mein Grossvater starb. Wir lebten alle zusammen auf einem Bauernhof im Fuchsloch hoch über Walenstadt. Er war an einer Lungenentzündung erkrankt und starb zu Hause, im Kreis der Mehrgenerationenfamilie. Seinen Tod empfand ich damals nicht als etwas Bedrohliches – aber der Verlust war sehr schmerzhaft. Das Vermissen oder das ‹Heimweh› nach ihm hat länger gedauert.»

Der Grossvater sei damals zu Hause aufgebahrt gewesen, sagt Vreni Britt. «Das Bild, wie Grossvater in weissen Lacken mit gefalteten Händen und Rosenkranz im Bett lag, ist mir immer in Erinnerung geblieben. Ich berührte ihn kurz an der Hand und fühlte: Er lebt nicht mehr. Das war eindrücklich.»

Knapp 30 Jahre später, Vreni Britt war damals 34 Jahre alt, nahm sich ihr Mann das Leben. «Es kam so plötzlich», sagt sie. «Mein Mann war depressiv. Er veränderte sich. Extreme Versagensgefühle plagten ihn. Er wälzte Fluchtgedanken. Sagte, er habe keine Gefühle mehr.»

Beratungsgespräche, Therapien, Medikamente ja sogar ein Klinikaufenthalt konnten dem Verzweifelten nicht helfen. Er nahm sich das Leben. Vreni Britt: «Wütend war ich nie, dass der Partner weg ist. Sein Leiden war derart spürbar, ich konnte es einordnen. Aber verstehen», sagt sie «verstehen kann man das nicht.»

Der Verstorbene war mehrere Tage aufgebahrt. «Die drei Kinder konnten Abschied nehmen. Bis zum letzten Tag. Und nachher suchten wir uns Hilfe. Zusammen und jedes für sich.»

Als Pflegefachfrau die Hospizarbeit kennengelernt

Vreni Britt lernte Pflegefachfrau, absolvierte die Höhere Fachschule und leitete heute die Spitex Sarganserland, führt 160 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. In dieser Funktion engagiert sie sich in der Hospizgruppe als Beirätin.

Warum dieses Engagement, frage ich?  «Die Hospizarbeit und ihren grossen Wert habe ich in meiner Arbeit als Pflegefachperson kennengelernt – und ich schätze sie sehr.» Es seien die Menschen, die in der Hospizarbeit sehr wertvoll sind, sagt sie. «Menschen, die in Anbetracht des nahen Todes der Betreuten primär die Erhaltung der bestmöglichen Lebensqualität sehen und weniger das Drohende des Todes oder den Verlust des Lebens.» Sollen kranke Menschen die letzte Phase ihres Lebens in guter Qualität verbringen können, sagt Vreni Britt, müssten Menschen verschiedener Disziplinen optimal zusammenarbeiten. «Dazu gehört ebenfalls die Hospizarbeit.»

Als Beirätin sieht sich Vreni Britt als Wissende in ihrem Fach. «Betreffend ambulanter Pflege kann ich Rat geben und für gegenseitiges Verständnis werben. Die Hospizfrauen und -männer stehen in regelmässigem Kontakt mit den Pflegefachpersonen der Spitex.»

Vreni Britt steht nicht mehr an den Betten ihrer Klientinnen und Klienten. «Der direkte Kontakt zur Klientel und ihren Angehörigen fehlt mir manchmal. Besonders dann, wenn Mitarbeitende von ihrer herausfordernden, erfüllenden Arbeit erzählen würden. «Ab und an werde ich noch beratend herangezogen, wenn es Verständnisschwierigkeiten gibt», sagt Vreni Britt. «Beispielsweise mit Angehörigen oder Institutionen. Dann unterstütze ich gerne oder lade ein zum ‹Gespräch am runden Tisch›.»

Die Arbeit am Krankenbett könnte sich die Spitex-Geschäftsführerin weiterhin vorstellen. «Sie ist mir nie verleidet», sagt sie und lächelt. «Das Leben und seine Angebote haben mich halt in eine andere Rolle katapultiert.» Ihre Türe im Büro stehe fast immer offen. Das heisst, Mitarbeitende können immer zur Chefin kommen, wenn sie etwas Belastendes besprechen wollen.

Kannst du dich abgrenzen, will ich wissen. Vreni Britt nickt. Sagt: «Ich habe nicht oft das Gefühl, ich müsse mich schützen, wenn dies mit abgrenzen gemeint ist. Es stehen mir innerbetrieblich ebenfalls Menschen zur Verfügung, die bei Problemen von Mitarbeitenden unterstützend beigezogen werden können. Ebenso haben wir die Möglichkeit, Fallbesprechungen zu organisieren, wenn eine Klientensituation für einzelne Mitarbeitende oder für eine Gruppe schwierig zu verarbeiten ist.»

Sie erinnere sich an eine junge Frau, die verstorben sei in Anwesenheit ihres Kindes – es war noch im frühen Schulalter. Diese Situation musste mit der Gruppe aufgearbeitet werden.

Ebenso sei eine spontane Psychohygiene möglich, wenn jemand diese brauche. Oft würden sich die Pflegefachpersonen aber selbst eine geeignete Vertrauensperson suchen, mit der sie die belastenden Anteile der Pflege besprechen können. Dann sagt Vreni Britt: «In meinem Büro darf man weinen – und es geschieht ab und zu.»

Die Spitex leistet neu Einsätze in der Nacht

«Die Spitex bietet einen Pflegedienst an in der Nacht, sie ist jedoch keine Nachtwache. Die Pflegefachperson HF, fährt in der Nacht für pflegerische Arbeiten zur Klientel. Sie bleibt nicht stundenlang vor Ort, sondern unterstützt im pflegerischen Bereich. Das vor Ort bleiben, das präsent sein und dadurch Sicherheit bieten, ist Teil der Hospizarbeit. Wir ergänzen uns.»

Wer in der Spitex arbeitet und sich für die Hospizgruppe engagiert, weiss: das Leben ist endlich. Was bedeutet das für dein Leben? Vreni Britt: «Mein Leben ist gut. Ich bezeichne mich als glücklichen Menschen. Ich bin dankbar, dass ich mit zunehmendem Alter vieles was mich vor Jahren noch sehr beschäftigt hat, nicht mehr so ernst und wichtig nehme und dadurch relativ entspannt durch die Zeit gehe. »

Das Leben hat Vreni Britt einige «Prüfungen» auferlegt.

Das gäbe ihr Hoffnung, sie könne ebenfalls sehr schwierige Zeiten überstehen. «Ich habe viele Menschen bis zu ihrem Tod begleitet. Angst machte mir das nie. Im Gegenteil. Palliative Pflege war immer der Bereich der Pflege, in der ich meist mehr zurückbekommen habe als gegeben.»

Die Möglichkeit sterben zu müssen, sei für sie kein Schreckgespenst. Es müsse nicht zwingend eine Krankheit sein, an der man sterbe, sagt Vreni Britt. «Ich fahre einen schweren Töff. Das Leben bringt das Risiko mit, zu sterben.

Einen schweren Töff: Ich staune und will Details wissen. Vreni Britt lacht, sagt: «Ich fahre derzeit eine weisse Moto Guzzi-California 1400. Mein Partner und ich reisen jeweils mit unseren Maschinen in die Ferien.» Mit dem letzten Töff hatte sie einen Unfall, brach sie den Schienbeinkopf sowie weitere Knochen.

Vor dem Sterben habe sie keine Angst, sagt Vreni Britt. «Ich lebe gerne und denke nicht oft an meinen Tod. Ich weiss, dass man mit den heutigen Möglichkeiten der Medizin und/oder einer guten palliativen Pflege ein würdiges Leben bis zum Tod führen kann. Darauf vertraue ich.»

Lebensqualität ist für Vreni Britt massgebend. Selbstbestimmung zum Lebensende wichtig.  An ein Weiterleben nach dem Tod glaubt sie nicht?

Sie sei kein sehr religiöser Mensch. «Aber der Gedanke ans Weiterleben kann einen trösten.»

Letzte Frage: Was machts mit dir, wenn ich dir sagen könnte, du schläfst heute Nacht still und friedlich ein. Für immer. Vreni Britt: «Da hätte ich gar keine Freude dran. Das ist mir zu früh. Ich wäre da klar in der Phase des nicht Wahrhabenwollens.»

(MS, 14. Januar 2022)

 


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