Dr. Daniel Portmann: «In der Altersmedizin ist Empathie wichtig»

«All die Zusatztitel helfen nichts, wenn man als Altersmediziner nicht ein Stück Mitgefühl, Anteilnahme in die Wiege gelegt bekam.»

Dr. Daniel Portmann: «In der Altersmedizin ist Empathie wichtig»

2. November 2021 0
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Dr. med. Daniel Portmann, 46, engagiert sich im Forum Palliative Sarganserland. (Foto: Paolo Foschini)

Dr. Portmann, Sie arbeiten als Facharzt FMH für Allgemeine Innere Medizin in der Gemeinschaftspraxis PizolCare, Sargans. Zudem engagieren Sie sich im Forum Palliative Sarganserland. Wer sind Sie?
Daniel Portmann: Ich bin verheiratet und Vater zweier Kinder. Seit 20 Jahren arbeite ich als Arzt. Glücklicherweise wusste ich von Beginn an, welche Disziplin es sein sollte und so kam ich ohne unnötige Zusatzschlaufen am Wunschziel ‹Hausarzt› an. Radfahren, Reisen und Gleitschirmfliegen waren die Hobbies in der Studienzeit. Seit nun bald zehn Jahren sind wir wieder zurück in der Region, in der ich aufgewachsen bin.

Sie praktizieren als in der Gemeinschaftspraxis PizolCare in Sargans. Besuchen Sie Patientinnen, Patienten ebenfalls in Heimen, machen Sie Hausbesuche?
Meist findet man mich in der Praxis. Die Termindichte lässt unangemeldete Hausbesuche nur noch bedingt zu und so konzentriere ich mich auf Visiten, wo ich Hilfe bringen kann. Die Arbeit in den Heimen, ich bin Heimarzt in einem modernen Pflegeheim der Region, macht mir viel Freude und bringt willkommene Abwechslung zum Praxisalltag.

Über das Fach Geriatrie, also Altersmedizin, lese ich im Internet Folgendes:
Geriatrische Medizin behandelt die speziellen Erkrankungen alter Patientinnen und Patienten, die häufig älter als 65 Jahre sind. Die Mehrzahl der Patienten, Patientinnen, die von Geriatrischer Medizin profitiert, gehört der Altersgruppe der über 80-Jährigen an.

Diese Patientengruppe weist einen hohen Grad an Gebrechlichkeit und Multimorbidität auf und erfordert einen ganzheitlichen Ansatz. Im Alter können sich Krankheiten mit einem veränderten Erscheinungsbild präsentieren und sind daher häufig schwer zu diagnostizieren. Therapieerfolge treten verzögert ein. In der Regel besteht zusätzlich ein Bedarf an sozialer Unterstützung. Geriatrie umfasst daher nicht nur organorientierte Medizin, sondern bietet zusätzlich die Behandlung im interdisziplinären Team, das den funktionellen Status und die Lebensqualität des älteren Patienten verbessert und seine Autonomie fördert.

Was sind die Herausforderungen an den Geriater, an den «jungen Hausarzt»?
Das Zeitmanagement. Ein geriatrischer Patient, eine geriatrische Patientin lässt sich nicht in 15 oder 20 Minuten befragen, untersuchen und therapieren. Man muss die notwendigen Zeitfenster schaffen, in denen man diesen Menschen gerecht werden kann. Grundsätzlich gilt das für alle Patientinnen, Patienten – in der Altersmedizin aber sind diese genügend grossen Zeitfenster besonders wichtig.

Dazu brauchts viel Empathie.
Genau. «In der Altersmedizin ist Empathie wichtig. Ohne gehts nicht. All die Zusatztitel helfen nichts, wenn man nicht ein Stück Mitgefühl, Anteilnahme in die Wiege gelegt bekam. Ebenfalls wichtig ist mir ein gutes persönliches Umfeld. Meine Familie trägt die überdurchschnittlich vielen Arbeitsstunden mit und drückt beim verspäteten Abendessen immer wieder ‹ein Auge› zu.

Bei der Betreuung von Menschen in der letzten Lebensphase spielt die interdisziplinäre Zusammenarbeit eine wichtige Rolle. Funktioniert sie im Sarganserland?
In der Tat ist die interdisziplinäre Zusammenarbeit äusserst wichtig und sie funktioniert meiner Meinung nach meistens sehr gut. Im Sarganserland haben wir eine hervorragende Spitex, haben die Möglichkeit, den Brückendienst beizuziehen und verfügen über kurze Wege zwischen den verschiedenen Akteuren, etwa den Heim- und Pflegedienstleitungen. So können wir das tragfähige Netz rasch aufziehen. Das Team koordiniert sich in der Regel selbst. Aufgaben und Kompetenzen sind bekannt. Die Beteiligten erfüllen ihre Aufgaben und fordern bei Bedarf Unterstützung an.

Was sagen Sie lieber Daniel Portmann zu Menschen, denen die Qualität der verbleibenden Lebensjahre wichtiger ist als ein möglichst langes Leben.
Ich sehe mich bei Patientenkontakten grundsätzlich als beratende Instanz und respektiere die Meinungen/Haltungen meiner Patienten, Patientinnen. Erreicht jemand ein höheres Alter, ändert sich das Verständnis für Qualität im Leben oft dramatisch.

Wie meinen Sie das?
Ein Sonnenstrahl, der Geruch von Kaffee und ein gutes Gespräch kann die Welt bedeuten und jemand lebt gerne noch einige Monate/Jahre länger. Die Medizin muss hier oft gar nicht mehr viel dazu tun. So ist es dann meist die Entscheidung des Patienten, der Patientin, wann es so weit ist, sich vom Leben zu verabschieden.

Was antworten Sie Menschen, die sagen, sie hätten Angst vor dem Sterben?
Eine gute Frage. Erstaunlicherweise äusserten bisher eher wenige Patienten, Patientinnen diese Furcht. Öfters habe ich mich gefragt, wieso das sein könnte.

Und warum ist es so?
Wahrscheinlich sind die meisten Sterbenden in unserer Region doch fester mit der Religion verbunden als die kommenden Generationen. Die ‹Alten› glauben an die Wiedervereinigung mit ihren bereits verstorbenen Angehörigen.

Gibts noch weitere Gründe?
Durchaus. Viele Betagte sind ‹bereit› zu gehen. Diese Bereitschaft ist ein Geschenk, das uns die Natur möglicherweise im hohen Alter gibt. Eine andere Gruppe lebt glücklich in ihrer eigenen Welt und stellt sich diese Fragen gar nicht mehr.

Was denken Sie, gehts nachher weiter?
Persönlich halte ich den Gedanken an den ewigen Kreislauf der Materie ebenfalls für tröstlich und wenn ich auf meine Kinder schaue, so weiss ich: das Leben wird weitergehen.

Hand aufs Herz: Müssen wir Schmerzen fürchten, wenn wir zuhause palliativ betreut werden?
Nein, das muss niemand. Uns bleibt in der Regel viel Zeit, ein Netz aufzubauen und wenn die Betreuung steht, die richtigen Medikamente verordnet sind, dann gibts kein Grund, sich vor grossen Schmerzen zu fürchten.

Ziehen Angehörige und Betroffene sowie Pflegende und Ärzte am selben Strick?
Wir leben in einer Zeit der Skepsis und so werden unsere etablierten Methoden in seltenen Fällen von Angehörigen angezweifelt. Dann helfen meist klärende Gespräche. Aber wie es die aktuelle Zeit zeigt, lässt sich nicht jeder, lässt sich nicht jede mit klaren Argumenten überzeugen. Dann muss ich mich als Arzt teils mit Nachdruck für den Patienten, die Patientin einsetzen. Denn wenn es Möglichkeiten gibt, Leiden zu mindern, sollte sie niemandem verwehrt werden.

In Zeiten einer Pandemie empfiehlt es sich, eine Patientenverfügung zu erstellen. Wer hilft, wenn jemand nicht weiss, wie das geht?
Patientenverfügungen gibts online bei der Pro Senectute, bei den Hausärzten und in verschiedensten Foren. Da die Verfügungen sehr unterschiedlich sind, empfehle ich eine Beratung beim Hausarzt, bei der Hausärztin. Ich persönlich finde die Kurzform der FMH-Patientenverfügung sehr gelungen.

Daniel Portmann, danke für das Gespräch.

(MS, 2. November 2021)


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