Margrit Rutzer: «Ruedis letztes Telefon abgeklemmt»

Was es heisst, einen geliebten Menschen zu verlieren, erlebte Margrit Rutzer vor bald zehn Jahren.

Margrit Rutzer: «Ruedis letztes Telefon abgeklemmt»

18. Juli 2020 0
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Was es heisst, einen geliebten Menschen zu verlieren, erlebte Margrit Rutzer vor bald zehn Jahren. «Mein Mann Ruedi rief mich an und begann so viel zu reden, wie er das sonst nie tat. Ich musste ihn abklemmen, sagte: ‹Ruedi, ich sollte losfahren, eine Abmachung einhalten›. Dann beendete ich das Gespräch.»

Margrit Rutzer blickt mich traurig an. «Unser letzter Schwatz.» Als das Telefon wieder schellte, wars knapp Mitternacht. Ihr Mann liege im Kantonsspital, habe es geheissen. Schwerstverletzt nach einem Treppensturz. Zu dritt fuhren Margrit und zwei ihrer Kinder ins KSSG. Der Schwerstverletzte erhielt noch Sauerstoff bis die dritte Tochter ebenfalls im Spital eingetroffen war. Dann starb Ruedi. Margrit hielt seine Hand.

«Mein Gott», sagt sie. «Das war schlimm. Unvorstellbar. Ich hatte so viel Veh. In den ersten Tagen schaute ein Nachbar zu den Kühen, den Rindern, den Kälbern. Konnte ich nicht schlafen, stand ich auf und ging zu den Tieren.» Kurz darauf brach sie den linken Fuss und musste die Tiere, die Maschinen, die Fahrhabe verkaufen. Es sei ihr vorgekommen, als hätte sie irgendwer bremsen wollen. Sie schüttelt den Kopf. «Rückblickend», sagt Margrit, «habe ich das Gefühl, der Ruedi ahnte seinen Tod voraus. Er sagte, er würde alles verkaufen, dann könnten wir gut weiterleben.»

Nie über die letzte Lebensphase geredet

Ruedi und Margrit redeten nie über den Tod, über das Sterben. «Er war ja noch jung. 63 Jahre alt.» Geredet hat Margrit nachher viel mit ihrer Nachbarin. «Wir kannten uns gut. 35 Jahre lang pflegte sie jede Woche meine Haare. Nach Ruedis Tod unternahmen wir täglich lange Spaziergänge.» Drei Jahre später diagnostiziert ein Arzt bei der Freundin Leberkrebs. Unheilbar. Sechs Monate lebte sie noch, dann verlor Margrit ihre beste Freundin. Es sei nicht die Letzte gewesen. Eine Freundin nach der anderen habe die letzte Reise angetreten. «Warum und wieso soll niemand fragen», sagt Margrit. Nach Ruedis Tod lernte sie, nach vorne zu schauen. «Läge er jetzt mit schweren Schäden im Bett, nützte das niemandem etwas.»

Margrit Rutzer wuchs auf dem Flumserberg auf. «Die Eltern bauerten, wir waren acht Kinder. Wer einen Rechen halten konnte, musste mithelfen. Zu tun gab es immer etwas.» Nach der Schule absolvierte die junge Frau ein Haushaltslehrjahr in Bad Ragaz. Dann erkrankte die Grossmutter schwer, und die Enkelin musste zu Hause anpacken. Später arbeitete sie im Dorfladen, machte dann eine Servicelehre im Restaurant Riet in Balzers. Als sie 21 Jahre alt war, heiratete sie ihren Ruedi und gebar ihm drei Mädchen. «Alle drei wohnen sie in der Nähe. Wir haben ein gutes Verhältnis.»

Margrit, die schon beim Schwiegervater am Sterbebett sass, wollte nach ihrer Tätigkeit im Pfarreirat wieder etwas machen. «Ich musste etwas tun, meldete mich bei Bea Grünenfelder und konnte den Palliative-Care-Kurs absolvieren.»

«Der Himmel hilft. Das ist tröstlich»

Ihr Engagement in der Hospizgruppe Sarganserland begründet Margrit Rutzer folgendermassen: «Ich hatte nicht nur goldene Zeiten, bin aber zufrieden mit meinem Leben. Nun möchte ich etwas zurückgeben.» Sie könne das, sagt sie. «Als Ruedi starb und beerdigt war, wurde es schlimm. Ich sagte mir, es trifft die Menschen, die es tragen können. Und so zeigte ich keine Schwäche. Nie.» Ungläubig hake ich nach, frage: «Nie?» Sie schaut mich an, lächelt. «Ja, nie. Ausser, wenn ich alleine war.»

Ob sie denn gut loslassen könne, will ich wissen? «Nein, das kann ich nicht. Ruedi ist nun zehn Jahre tot. Einerseits erlebe ich wunderbare Tage, andererseits denkbar schlechte. Dann kann ich hässig sein, wütend. Schliesslich hat mir irgendwer das Liebste genommen.»

Vor dem Sterben hat die 68-Jährige keine Angst. «Aber gehen möchte ich noch nicht, obwohl ich gut lebte.» Und wie ist das mit dem Weiterleben nach dem Tod? Margrit Rutzer nickt: «Ich denke schon», sagt sie. «Und weisst du, warum? Wenn ich einen Parkplatz suche, sage ich jeweils: ‹Himmel, sei so gut, hilf mir, einen freien Platz zu finden›.» Sie lächelt. «Das System klappt. Darum glaube ich, der Himmel hilft. Das ist ein tröstlicher Gedanke.» (MS, 19. Juni 2020)


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