Christine Friedli: Mit Grossvater auf dem Gottesacker

Früher hoben Friedhofsgärtner Gräber aus. Daran erinnert sich Christine Friedli. «Grossvati nahm mich jeweils mit auf den Gottesacker. Knapp vier Jahre alt war ich ...

Christine Friedli: Mit Grossvater auf dem Gottesacker

30. Juli 2020 0
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Früher hoben Friedhofsgärtner Gräber aus. Daran erinnert sich Christine Friedli. «Grossvati nahm mich jeweils mit auf den Gottesacker. Knapp vier Jahre alt war ich, als ich zusehen konnte, wie er und sein Kollege ein Grab aushoben. Wohl wegen besonderer Bodenverhältnisse kam da ein gut erhaltenes Skelett zum Vorschein. Mir gefiel, was ich da sah. Mutter Madlen fand daran weniger Gefallen.

Kurze Zeit später lag mein Grossvater zu Hause im Bett. Schwer krank. Was ich nicht wusste, er lag im Sterben. Ab und an schlich ich mich zu ihm hinein, hielt seine Hand und blieb so lange, wie Madlen es zuliess. Als er gestorben war, wollte sie nicht, dass ich ihn sehe. Dank meinem Grosi durfte ich mich von ihm verabschieden. Heute, in meinen Erinnerungen, sehe ich Grossvati als ‹schöne› Leiche.»

Christine Friedli hatte nie Angst vor Toten. Im Gegenteil. Vielleicht sei der Tod des Grossvaters ein Grund. «Soweit ich mich erinnern mag, schlich ich mich dann und wann in die Leichenhalle vis à vis unseres Hauses. Ich verabschiedete mich jeweils von den aufgebahrten Verstorbenen. Gabs eine Beerdigung, und ich hatte schulfrei, schlich ich mich in die Kirche. Wollte dabei sein. Hockte zuhinterst, etwas versteckt hinter einer Säule und lauschte den Orgelklängen, beobachtete die Trauernden, hörte dem Pfarrer gespannt zu, als er aus dem Leben Verstorbener erzählte.»

Das Leben ist endlich, und wir wissen es. Was bedeutet das für Christine Friedli? «Nichts», sagt sie. «Sterben werden wir alle, nur wahrhaben wollen dies einige nicht. Für mich gehört das Sterben zum Leben. Natürlich ist mir die Endlichkeit nicht stets präsent, wenn ich am Bett sitze einen Menschen in seiner selbstbestimmten letzten Lebenphase.»

In solchen Momenten erlebe sie Ruhe, Frieden, sagt Christine Friedli. «Dann durchflutet mich eine grosse Dankbarkeit gegenüber dem Verstorbenen, dass ich beim Sterben dabei sein konnte. Sterben ist sehr persönlich, intim. Unmöglich zu beschreiben, was für ein Gefühl es für mich ist, diese besondere, diese geheimnisvolle, übersinnliche Stimmung zu spüren.»

Die Stimmung, wenn jemand das Leben verlässt. Wenn eine Mutter ihr Kind loslassen muss. Christine Friedli erlebte das vor über zwanzig Jahren. Am 14. September 1995 starb ihr Sohn Fabien. Er wurde nur 63 Tage alt. «Ein plötzlicher Kindstod wars», sagt die Mutter von fünf mittlerweile erwachsenen Kindern. «Drei Töchter und zwei Buben. «Der eine ist mein Prinz im Himmel. Sein Tod war eine einschneidende Zäsur in meinem, in unserem Familienleben. Fabien und ich führen dann und wann stille Zwiegespräche. Das tut mir gut.» Link

Loslassen musste Christine Friedli ebenso ihre Mutter Madlen. «Sie litt an Krebs in der Lunge. Ich begleitete sie. Führte Tagebuch, dokumentierte ihre letzte Lebensphase mit Bildern. Fröhliche Selfies sinds und stille Szenen. Mutter war einverstanden.» Manchmal stupste Madlen ihre Älteste, sagte, ‹komme mach noch ein Bild von uns beiden›. Gestorben ist Madlen am Freitag, 5. Januar 2018 um 1.15 Uhr. Mit einem berührenden Text in ihrem «LiebeChristine»-Blog nahm die Tochter Abschied.

Schreiben und zeichnen sind mittlerweile feste Bestandteile geworden im Leben der Stadtnerin. Sie bloggt, schreibt praktisch jede Woche eine Geschichte auf ihrer Webseite www.LiebeChristine.ch. Ihre Illustrationen, ihre Texte erfreuen mittlerweile eine grosse Fangemeinde.

Loslassen muss sie ebenso fremde Menschen. Und zwar bei ihrer Arbeit als Pflegehelferin SRK im Tertianum Quarten oder als Begleitende in der Hospizgruppe. «Das funktioniert gut. Ich kann das.»

Christine Friedli glaubt an ein Weiterziehen der Seelen. «Ich glaube, die Seele sucht sich einen Körper aus. Und so kommen wir immer wieder zurück.»

Was machts mit dir, wenn ich dir sagen könnte, du schläfst heute Nacht still und friedlich ein. Für immer?
Glücklich ginge ich. Meine Asche soll in meiner selbstgetöpferten Urne ihren Platz finden auf einem Waldfriedhof unter einem Baum. Und so werde ich mir vorstellen, wie wunderbar es dort ist. Ruhig, friedlich. Sonnenstrahlen finden ihren Weg durch die Äste auf den Boden. Staub tanzt in der Luft. Ich werde die Blätter rauschen hören, wenn der Wind durch die Bäume zieht. Ich werde es ploppen hören, wenn Regentropfen von den Blättern fallen. Und so verliesse ich diese Welt mit einem Lächeln. (MS, 20. Juli 2020)


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